Translatio Nummorum – Römische Kaiser in der Renaissance

Translatio Nummorum – Römische Kaiser in der Renaissance

Organisatoren
Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance (HU Berlin, BBAW); Münzkabinett zu Berlin; Kunsthistorisches Institut in Florenz (MPI)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.11.2011 - 18.11.2011
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Von
Ulrike Peter / Neela Struck, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Vom 16. bis 18. November 2011 fand an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und im Bode Museum zu Berlin das internationale Symposium „translatio nummorum – Römische Kaiser in der Renaissance“ statt. Veranstaltet wurde die Tagung vom Verbundprojekt „translatio nummorum – Die Aneignung der antiken Kultur durch Antiquare der Renaissance im Medium der Münzen“. Zu diesem Projekt, das von April 2009 bis März 2012 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, hatten sich der „Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance“ (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften / Humboldt-Universität zu Berlin), das Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin und das Kunsthistorische Institut in Florenz (Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte) zusammengeschlossen.1 Die Tagung wurde gefördert von der Gerda Henkel Stiftung, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Hermann und Elise geborene Heckmann Wentzel-Stiftung, der Numismatischen Gesellschaft zu Berlin e.V., der Erivan und Helga Haub-Stiftung und der Kaiser’s Tengelmann GmbH.

Das Ziel des interdisziplinären Kolloquiums war es, die Rolle der antiken Münzen bei der Erforschung, Interpretation und (Re-)Konstruktion der antiken Kultur und Geschichte in der Frühen Neuzeit zu analysieren. In der Renaissance wurde erstmals die eminente Bedeutung der Münzen für die Antikenforschung erkannt, und die Numismatik als wichtige Quellenkunde der Altertumswissenschaften konnte sich etablieren. Die Auswertung der Vielzahl an Druckwerken und unveröffentlichten Manuskripten zur antiken Münzkunde im 16. Jahrhundert ist aber wissenschaftshistorisch noch längst nicht abgeschlossen. Durch die Zusammenführung von Numismatikern und Kunsthistorikern, aber auch von Archäologen, Mediävisten, Philologen und Philosophen sollte auf dem Symposium die forschungsgeschichtliche Aufarbeitung dieses Prozesses weiter vorangebracht werden.

Der Einladung waren Wissenschaftler aus den Vereinigten Staaten von Amerika, aus Italien, Großbritannien, Belgien, Griechenland, Österreich und Deutschland gefolgt. Die Tagung rief auch ein großes Publikumsinteresse hervor.2

Im Mittelpunkt des Kolloquiums standen zunächst die „Antiquare und ihre Schriften“. MARTIN MULSOW (Erfurt) konnte einleitend die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der numismatischen Publikationen anschaulich machen: Im Zentrum seines Vortrags stand die Kontroverse als eine Form des wissenschaftlichen Dialogs, wie sie insbesondere für die numismatische Literatur charakteristisch ist. Anhand der Schriften Morells und Spanheims vermochte Martin Mulsow für die numismatische Debatte in Frankreich im 17. Jahrhundert aufzuzeigen, dass Fraktionskämpfe zwischen den Gelehrten über Deutungsdifferenzen der antiken Münzen ausgetragen wurden.

Von großem wissenschaftsgeschichtlichem wie bildwissenschaftlichem Interesse erwies sich das Gebiet der griechischen Münze, dem JONATHAN KAGAN (New York) seine Aufmerksamkeit zuwandte: Sein Vortrag untersuchte Zeugnisse des Sammelns und des Studiums der griechischen Münzen zwischen 1558 und 1620. Die Ergebnisse verdeutlichten, wie präsent die sizilischen, unteritalischen und griechischen Münzen in den Sammlungen und Köpfen der Renaissance waren und führten so anschaulich vor Augen, dass die Erforschung ihrer Rezeptionsgeschichte ein Forschungsdesiderat darstellt, das angesichts der interessanten Ikonographie der griechischen Münzbilder aus bildhistorischer Perspektive umso bemerkenswerter erscheint.

Während Jonathan Kagan ein unpubliziertes Manuskript von Hubert Goltzius aus Antwerpen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt hatte, lenkte WILHELM HOLLSTEIN (Dresden) den Fokus auf die 1566 von Hubert Goltzius publizierten Fasti magistratuum et triumphorum Romanorum. Sein Beitrag demonstrierte, wie die Verengung des Blickwinkels auf die Frage nach der archäologischen Korrektheit der Renaissance-Autoren dazu beigetragen hat, Autoren wie Hubert Goltzius und Pirro Ligorio einseitig als „Fälscher“ wahrzunehmen. Offenbar bot die antike Münze zahlreichen Autoren der Renaissance jedoch zunächst ein schier unerschöpfliches Repertoire von Bildern, das es zu nutzen galt. Anhand ausgewählter Beispiele konnte Hollstein zeigen, dass in die „nummi goltziani“ das gesammelte ikonographische Wissen ihres Autors einfloss, andererseits republikanische Prägungen, die Goltzius nachweislich kannte, keinen Eingang in das Werk fanden. Die Fasti seien daher, so Wilhelm Hollstein, nicht mit dem Versuch eines Corpus der republikanischen Münzen zu verwechseln, sondern sollten dazu dienen, im Sinne einer „historia illustrata“ antike Geschichte zu erläutern.

Ganz explizit wird der vielfache Nutzen, der aus Sicht der Renaissance-Autoren aus der antiken Numismatik zu ziehen ist, von Hubert Goltzius in seiner Einleitung zu den Fasti formuliert, mit der sich HENNING WREDE (Berlin) auseinandersetzte. Das Goltz’sche Programm aus neun Punkten zeige, so Henning Wrede, die umfassende Bedeutung der Altertumswissenschaften für die Renaissance. Wie griffig Goltzius den programmatischen Anspruch der Numismatik eine „gesamte Sicht auf die Welt“ zu gewähren, formuliert hat, zeigt sich nicht allein daran, dass in den Diskussionen der folgenden Konferenztage immer wieder auf sie und Henning Wredes Auswertung verwiesen wurde; auch Sebastiano Erizzo übernahm für eine Neuauflage seines Traktats die Passage wörtlich aus dem Werk Goltzius’.

Der von HORST BREDEKAMP (Berlin) eingeführte abendliche Festvortrag von ULRICH PFISTERER (München) „Sinnes-Wissen. Verblendung und Erleuchtung antiker Kunst in der Renaissance“, der gleichzeitig in das Jahresthema der Akademie „ArteFakte. WISSEN IST KUNST – KUNST IST WISSEN“ eingebunden war, griff die Gegenstimmen zur Antikenmanie in der Frühen Neuzeit auf. Zwei Singerien von Chardin, die Ulrich Pfisterer als Allegorien auf das Wissen der Kunst und das historische Wissen deutete, bildeten den Ausgangspunkt der Betrachtung und lieferten den Zündstoff für die anschließende Diskussion. Der entscheidende wissenschaftsgeschichtliche Fortschritt der Numismatik sei, so Ulrich Pfisterer, ihr Zuwachs im Sinneswissen gewesen, bildete doch die Numismatik unter anderem wichtige Grundlagen der Beschreibungskunst und der Stilkritik aus. Die Gegenstimmen haben, wie Ulrich Pfisterer zeigte, diesen Zuwachs an methodisch-analytischer Schärfe oft präziser erkannt und in ihrem Angriff deutlicher formuliert als ihre Anhänger selbst.

Auch die Forschung zu dem Antiquar Pirro Ligorio, dem sich das Kolloquium am folgenden Tag unter der Leitung von ARNOLD NESSELRATH (Rom / Berlin) zuwandte, erweist sich vor allem als eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Authentizität der von Ligorio herangezogenen Münzen. Umso überraschender war es, dass beide Spezialisten für Pirro Ligorio ihm im Umgang mit den antiken Münzen eine kritische Herangehensweise attestierten, die ihm in der Forschung häufig abgesprochen wurde.

IAN CAMPBELL (Edinburgh / Rom) stellte den Umgang mit antiken Münzen im sogenannten Codex Oxoniensis von Pirro Ligorio, den er derzeit in Zusammenarbeit mit Maria Luisa Madonna (Universität von Siena) ediert, in den Mittelpunkt seines Beitrages. Er konnte zeigen, dass Ligorio die Rückseitenbilder der antiken Münzen zur Rekonstruktion der römischen Topographie heranzog und selbst dort, wo er sich, wie im Falle des Forum Minervium mit seinen vier Obelisken irrte, kein bewusster Fälschungsversuch zu vermuten ist.

PATRIZIA SERAFIN (Rom), die an der Edition der numismatischen Bände von Pirro Ligorio arbeitet, die im Archiv von Turin aufbewahrt werden, rekonstruierte den Umgang des Gelehrten mit den Münzen am Beispiel der Prägungen aus der Zeit des Kaisers Nero. Als Vergleichsmaterial zum Turiner Manuskript stützte sich Patrizia Serafin auch auf den in Neapel befindlichen Codex. Sie betonte die unterschiedliche Qualität der Zeichnungen, die unter anderem darauf hinweisen kann, dass die Münzenreproduktionen zu verschiedenen Zeiten (und vielleicht auch von verschiedenen Händen) angefertigt wurden.

Die von BERNHARD WOYTEK (Wien) geleitete Sektion „Antiquare und ihre Sammlungen“ eröffnete FRANÇOIS DE CALLATAŸ (Brüssel) mit einem beeindruckenden Beispiel für die besondere Dichte des numismatischen Quellenmaterials: Leben und Werk des Antiquars Laevinius Torrentius vermochte François de Callataÿ durch die wertvollen Bestände der Königlichen Bibliothek von Belgien zu beleuchten, in deren Besitz sich nicht nur ein postumes Inventar der Münzsammlung von Laevinius Torrentius sowie über 1000 Kopien seiner Korrespondenz der Jahre 1583–1595 befinden, sondern auch das Bibliotheksinventar des Antikensammlers erhalten ist. Anschaulich konnte der Beitrag Callataÿs somit die Rolle, die dem illustrierten, numismatischen Buch seit dem 16. Jahrhundert innerhalb des wissenschaftlichen Dialogs zuzuschreiben ist, hervorheben. Kaum eine Episode veranschaulicht das dialektische Verhältnis von wissenschaftlichem Dialog und Publikation dabei besser, als der von Callataÿ präsentierte Briefwechsel zwischen Torrentius und Andreas Schott, der die Werke des Spaniers Antonio Agustín zum Gegenstand hatte, um deren Zusenden Torrentius Schott bat. Seiner lateinischen Edition von Agustíns Dialogos fügte Schott später einen 12. Dialog hinzu, der einen fiktiven Besuch von Abraham Ortelius, Schott und Nicolaas Rockbox bei Torrentius zum Gegenstand hat, bei dem nichts anderes als die Originalausgabe der Dialogos selbst zum Gesprächsgegenstand erhoben wird.

Das Spektrum der Funktionen, die das illustrierte Münzbuch erfüllte, erweiterte der Beitrag von JOHN CUNNALLY (Ames), der ein unveröffentlichtes Manuskript der Houghton Library (ms. Typ. 411) als „ersten numismatischen Verkaufskatalog“ einführte. Die Münzzeichnungen, deren materieller Befund nach Venedig um 1560 weist, dienten, so John Cunnally, dazu, die unter Zeitgenossen berühmte und häufig konsultierte Sammlung des Dogen Andrea Loredan an potentielle Käufer in Wien zu vermitteln. Nachdem die Sammlung von Albrecht V. von Bayern erworben worden war, muss sie sich in alle Winde zerstreut haben, was für die Provenienzforschung anhand einiger überaus seltener Exemplare der Sammlung erkennbar ist. Neben der ungewöhnlich pragmatischen Funktion, die der Antikenzeichnung der Renaissance in diesem Beispiel zukäme, wurde in der Diskussion die ungewöhnlich große Zahl römischer Provinzialprägungen der Sammlung besonders hervorgehoben.

Mit ihren Forschungen zur Korrespondenz zwischen dem Münzsammler Hans von Schellenberg und dem Theologen und Historiker Johann Jakob Rüeger präsentierte URSULA KAMPMANN (Lörrach) ein anschauliches Beispiel für den numismatischen Dialog in der schwäbischen Provinz, der offenbar von einer klaren Rollenverteilung gekennzeichnet war: Die Briefe Schellenbergs werden charakterisiert durch ihre Konzentration auf die korrekte Erfassung und Bestimmung der antiken Münzen – ihre historische Einordnung überließ er offenbar dem Historiker Rüeger, dessen Briefe sich nicht erhalten haben. Neben dem Enthusiasmus für die Münzen, von dem die Briefe ein beredtes Zeugnis abgeben, verdienen sie besondere Beachtung als Quelle für die lange Zeit unbeachtet gebliebenen Geschenkverbindungen, die die Gesellschaft der Renaissance durchzogen und innerhalb derer der Wert eines Münzgeschenks ein sicherer Anzeiger für den Status des Schenkers und des Beschenkten sei.

Mit der Münze als Träger historischen Wissens befasste sich am Nachmittag die Sektion „Münzen und Wissenstransfer“, die PETER-HUGO MARTIN (Berlin) leitete. ULRIKE PETER (Berlin) eröffnete mit einem Vortrag über die numismatischen Studien des venezianischen Gelehrten Sebastiano Erizzo, der im Gegensatz zu seinem Kollegen Enea Vico, mit dem er bekanntlich öffentlich über die Funktion der antiken Münzen stritt, bislang nur wenig Beachtung in der Forschung gefunden hat. Ulrike Peter rekonstruierte die Arbeitsmethode sowie die Beschreibungs- und Klassifizierungsmerkmale Erizzos, der als Auswahlkriterium für die Erfassung kaiserzeitlicher Münzen in seinem numismatischen Discorso deren Relevanz für die Geschichte definiert hatte. Sie legte dar, wie Erizzo die Münzen größtenteils richtig beschreiben und identifizieren, aber nicht ihren Prägezusammenhang herstellen konnte. Die Schriften Sebastiano Erizzos sind es auch, in denen erstmals in gedruckter Form Urheberschaft, Sinn und Datierung der Kontorniaten diskutiert werden. Anhand einer umfassenden Rekonstruktion der Forschungsgeschichte dieser ikonographisch hochinteressanten und in ihrer Funktion bis zum heutigen Tage nicht zweifelsfrei geklärten Medaillons demonstrierte PETER FRANZ MITTAG (Köln) die Wirkmächtigkeit der Renaissance-Theoretiker: Beinahe 150 Jahre lang, so Peter Franz Mittag, sei die These Sebastiano Erizzos diskutiert worden, nach der die Kontorniaten in der Siedlung Kroton geprägt wurden. Die Erkenntnis, dass es sich bei den Kontorniaten um Objekte der spätantiken Kunst handelte, blieb jedoch dem 17. Jahrhundert vorbehalten.

Die Sektion „Münzen als Vorlagen“ unter der Leitung von REINHARD WOLTERS (Wien) befasste sich mit der Rezeptionsgeschichte der antiken Münze in der Bau- und Zeichen-Kunst der Renaissance. ANDREW BURNETT (London) demonstrierte die Rolle der nummi für den plastischen Dekor oberitalienischer Bauwerke im letzen Viertel des 15. Jahrhunderts. Mit den Sockel-Dekorationen der Colleoni-Kapelle in Bergamo und der Certosa di Pavia präsentierte Andrew Burnett eine beeindruckende Fülle von Medaillons mit den Porträts römischer Kaiser, die belegen, dass die antike Münze nicht nur als archäologisches Artefakt, sondern auch als ein nachzuahmendes Modell für die zeitgenössische Kunst angesehen wurde.

Auch ALAN M. STAHL (Princeton) interessierte sich in seinem Beitrag für die Rezeption der antiken Münze vor dem Erscheinen der numismatischen Publikationen im 16. Jahrhundert. Stahl nutzte die Evidenz renaissancezeitlicher Münzprägung um die Frage, welche Aspekte der antiken Münze in der Renaissance für nachahmenswert erschienen, zu beantworten: Beginnend bei den Augustalen Friedrichs II. über einzelne Prägungen Paduas und Venedigs am Ende des 14. Jahrhunderts hin zu Münzprägungen der italienischen Fürsten Neapels, Mailands, Mantuas und Ferraras konnte Stahl aufzeigen, wie die römischen Münzen in der Form der Legende, der Verwendung des Materials Bronze und dem Herrscherporträt der Vorderseite rezipiert wurden. Besondere Bewunderung wurde dabei den römischen Sesterzen zuteil, deren hohes Relief auch in den Schriften des 16. Jahrhunderts stets als vorbildlich hervorgehoben wurde. Ihre Andersartigkeit von der eigenen, zeitgenössischen Münzproduktion sei, so Stahl, mit für das Aufkommen der Kontroverse zwischen Sebastiano Erizzo und Enea Vico über die Funktion antiker Münzen verantwortlich gewesen.

Der Aneignung antiker Münzen im Medium der Zeichnung widmete sich DAGMAR KORBACHER (Berlin). Sie zeigte die Bandbreite der zeichnerischen Rezeption antiker Münzen von Porträtstudien und genauen Nachzeichnungen bis hin zu deren Wertschätzung als Inspiration für die Entwicklung eigener künstlerischer Motive.

Am dritten Tag wurde das Symposium in den Gobelin-Saal des Bode Museums verlegt. Die von ANNA SCHREURS-MORÉT (Freiburg im Breisgau) geleitete Sektion „Münzen und Bilder“ wurde mit dem Vortrag von GIAN FRANCO CHIAI (Berlin) eröffnet, der sich mit der Rezeption und Transformation des Begriffes imago vera in der Renaissance beschäftigte. Ausgehend von der Kunsttheorie Petrarcas rekonstruierte Gian Franco Chiai drei Bedeutungsebenen des Begriffes, mit dem im Schrifttum der Renaissance über die naturgetreue und damit „wahre“ Wiedergabe der Gesichter der antiken römischen Kaiser hinaus auch die erzieherische Funktion ihrer Kontemplation als exempla virtutis sowie die Kunstqualität der Münze als Artefakt angesprochen wird.

ULRIKE EYDINGER (Florenz) untersuchte in ihrem Vortrag den Beitrag der Numismatiker zur Bestimmung der Identität antiker Götterbilder in der Renaissance. Anhand ausgewählter Beispiele konnte sie zeigen, dass die numismatische Literatur selten direkt zur Identifizierung antiker Götterbilder angewendet wurde. Aus heutiger Sicht erweist sie sich jedoch insofern als eine Quelle, als die Ausführungen der Renaissance-Numismatiker einen Indikator für den Stand der Antikenrezeption im 16. Jahrhundert darstellen. Zudem boten die Bilder von Götterstatuen auf Münzrückseiten ein ikonographisches Repertoire, das als Vorlage für die zeitgenössische Darstellung der antiken Götter ebenso wie für die Rekonstruktion von unvollständig erhaltenen antiken Statuen und Reliefs genutzt wurde.

MARCO CALLEGARI (Padua) besprach nach einer allgemeinen Einführung zu den ikonographischen Modellen der Münzreproduktionen sowie zur Bedeutung der Münzen als Vorlage für die paduanische lokale Kunst einen Kodex aus der Bibliothek des Priesterseminars von Padua. Die Folia dieser Handschrift, die er mit einem quaderno di disegni di monete aus der Bibliothek Quirini-Stampalia von Venedig verglich, zeigen qualitätvolle Zeichnungen von Münzen, die Marco Callegari als Reproduktionen von medaglie des Giovanni da Cavino identifizierte und deren Schöpfer er im engeren Umkreis des paduanischen Medailleurs vermutete. Gleich einem Verkaufskatalog könnten die graphischen Reproduktionen die Sammler bei der Auswahl der gewünschten Neuschöpfungen unterstützt und somit ihren Beitrag zur Verbreitung der Fälschungen Giovanni da Cavinos geleistet haben.

NEELA STRUCK (Berlin) legte eine Präsentation von frühneuzeitlichen Textstellen vor, die die Herausbildung der Stilkritik als wissenschaftliche Methode auch in den numismatischen Abhandlungen belegen. Obwohl es in der gedruckten Literatur der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur wenige Fälle gibt, bei denen die Beurteilung ihres Stils zu einer von der Evidenz des Bildnisses oder der Legende abweichenden Datierung einer Münze führte, erweist sich die numismatische Literatur vielfach als eine interessante Quelle für die Geschichte des Sehens.

JAN SIMANE (Florenz) moderierte die Sektion „Nachahmungen und Fälschungen“, in der MICHAIL CHATZIDAKIS (Chania) zeigte, dass viele der Fragen nach Funktion, Eigenschaft und Qualität antiker Münzen, die den wissenschaftlichen Diskurs in der numismatischen Literatur des fortgeschrittenen 16. Jahrhunderts bestimmten, bereits bei Ciriaco d’Ancona thematisiert wurden. Michail Chatzidakis verwies zwar auch auf die aus heutiger Sicht fehlerhaften Interpretationen durch Ciriaco, konnte aber die hermeneutisch-exegetische Arbeitsmethode des Gelehrten herausarbeiten und den großen historischen Wert aufzeigen, den er den Münzen beimaß. Entsprechend wurde Ciriacos Beitrag zur Herausbildung der numismatischen Wissenschaft gewürdigt.

Ausgehend von der Bewunderung der Antiquare für die Erzeugnisse der Medailleure ihrer Zeit untersuchte FEDERICA MISSERE FONTANA (Modena) den Stellenwert, den die „Fälschung“ zwischen bewundernder aemulatio für die Antike und profitorientiertem Betrug in der Kultur der Renaissance einnahm. Am Beispiel des schon von Marco Callegari vorgestellten Manuskripts aus dem Priesterseminar von Padua beleuchtete Federica Missere Fontana die Beziehungen zwischen Giovanni da Cavino und dem Sammler Alessandro Maggi da Bassano. Die außerordentliche Qualität der Zeichnungen, die auch Federica Missere Fontana dem näheren Umfeld des Giovanni da Cavino zuordnete, boten unter anderem Anlass zur Neubewertung der „Fälschungen“ da Cavinos, die von Zeitgenossen als kostbare all’antica angefertigte Kunstwerke wertgeschätzt, von Costanzo Landi sogar den antiken Münzen vorangestellt wurden.

UTE WARTENBERG (New York) leitete die Sektion „Adaptionen und Transformationen“. JOHANNES HELMRATH (Berlin) bot eine methodische Einführung zur Transformation römischer Kaisermünzen und eine interessante Zusammenstellung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Manuskripte, welche für die Art und Weise paradigmatisch sind, wie die Rezeption, Adaptation und Transformation der Antike am Beispiel der Münzen erfolgen konnte.

KARSTEN DAHMEN (Berlin) befasste sich mit den möglichen Wurzeln für die Medaillen Pisanellos. Ihre auffällige Größe sei weniger von dem Vorbild der Bildlampen abzuleiten, als möglicherweise in den Siegeln und Bullen der frühneuzeitlichen Diplomatik zu suchen. Die Besonderheit Pisanellos liege darin, dass er seine Medaillen goss, wodurch sie besonders an die hoch geschätzten römischen Sesterze erinnerten. Unabhängig von der Prägung als Münztechnik habe nur Pisanellos Ausbildung die Entstehung seiner Medaillen ermöglicht.

VERA-SIMONE SCHULZ (Florenz) setzte sich mit der Renaissance-Rezeption, Adaptation und Verwendung der Motive des pileus und der Dolche, die auf den republikanischen Prägungen von M. Iunius Brutus (RRC 508.3) als Symbole für die Befreiung von der Diktatur Julius Caesars vorkommen, auseinander. Die Umdeutungen des Brutuskultes auf zwischen 1537 und 1552 geprägten Medaillen bilden eine interessante Fallstudie zur Instrumentalisierung der Antike in der Frühen Neuzeit.

BERNHARD WEISSER (Berlin) stellte die Frage der Konstituierung und Nachahmung herrscherlicher Repräsentationsformen im frühen Prinzipat in den Fokus seines Vortrages. Die Adaption von Münzbildern in der Antike selbst, die auf diese Weise zur Herausbildung eines gültigen Herrscherbildes führten, zeigten die Basis für die Untersuchung der Rezeption und Transformation dieser Prägungen in der Renaissance.

Eine abschließende Diskussion, die von Arnold Nesselrath, Ulrike Peter, Ulrich Pfisterer und Bernhard Weisser moderiert wurde, fasste noch einmal die Punkte zu den Münzen als archäologische Artefakte, als Kunstwerke und als Vermittler der Geschichte sowie deren Neuinterpretation und Manipulation in der Renaissance zusammen und versuchte, einen Ausblick auf besonders vielversprechende weitere Forschungsfelder zu geben.

Konferenzübersicht:

Antiquare und ihre Schriften I

Moderation: Bernd Seidensticker (Berlin)

Martin Mulsow (Gotha / Erfurt): Numismatische Debatten zwischen Spanheim, Vaillant und Morell

Jonathan Kagan (New York): The Collection of Ancient Coins from Mainland Greece and Asia Minor in the 16th Century – The Evidence of Goltzius

Wilhelm Hollstein (Dresden): Die „Fasti magistratuum et triumphorum Romanorum“ des Hubert Goltzius. Eine Analyse der Münzbilder

Henning Wrede (Berlin): Der Nutzen der Numismatik bei Hubert Goltz

Abendvortrag im Rahmen des Jahresthemas der Akademie „ArteFakte. Wissen ist Kunst – Kunst ist Wissen“

Horst Bredekamp (Berlin): Einführung

Ulrich Pfisterer (München): Sinnes-Wissen. Verblendung und Erleuchtung antiker Kunst in der Renaissance

Antiquare und ihre Schriften II

Moderation: Arnold Nesselrath (Rom / Berlin)

Patrizia Serafin (Rom): Pirro Ligorio e le monete, tra storia e mito: l'esempio di Nerone

Ian Campbell (Edinburgh / Rom): Pirro Ligorio's Use (or Abuse) of Numismatic Evidence

Antiquare und ihre Sammlungen

Moderation: Bernhard Woytek (Wien)

François de Callataÿ (Brüssel): The Remarkable Ancient Coins Collection and Numismatic Library of Laevinius Torrentius (1525–1595)

John Cunnally (Ames): The Mystery of the Missing Cabinet: Andrea Loredan's Coin Collection and Its Fate

Ursula Kampmann (Lörrach): Die Schellenberg-Briefe. Ein wertvolles Zeugnis für den Kenntnisstand eines „normalen“ Sammlers zur römischen Antike

Münzen und Wissenstransfer

Moderation: Peter-Hugo Martin (Berlin)

Ulrike Peter (Berlin): Erschließung römischer Münzen als historische Quelle

Peter Franz Mittag (Köln): Die Kontorniaten in der renaissancezeitlichen Numismatik

Münzen als Vorlagen

Moderation: Reinhard Wolters (Wien)

Andrew Burnett (London): Ancient Coins on Buildings in Lombardy in the Late Quattrocento

Alan M. Stahl (Princeton): Roman Imperial Coins as an Inspiration for Medieval and Renaissance Numismatic Imagery

Dagmar Korbacher (Berlin): Die Rezeption antiker Münzen im Medium der Zeichnung von Pisanello bis Leonardo da Vinci

Projekt-Präsentation

Stefan Luboschik (Berlin / Potsdam ): Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance

Ulrike Eydinger (Florenz): Das digitale Corpus der antiquarischen Literatur zu antiken Münzen in der frühen Neuzeit

Timo Stingl (Berlin): Der Interaktive Katalog des Berliner Münzkabinetts

Münzen und Bilder

Moderation: Anna Schreurs-Morét (Freiburg im Breisgau)

Gian Franco Chiai (Berlin): imagines verae? – Die Münzporträts in der antiquarischen Forschung der Renaissance

Ulrike Eydinger (Florenz): Die Münze als Träger ikonographischen Wissens – Ein Hilfsmittel bei der Identifizierung antiker Götterbilder in der Renaissance?

Marco Callegari (Padua): Esempi di modelli iconografici nelle raffigurazioni monetali presenti in manoscritti e libri a stampa nella Repubblica di Venezia durante il XVI secolo

Neela Struck (Berlin): Vergleichendes Sehen – die Numismatik als Wurzel der Stilkritik

Nachahmungen und Fälschungen

Moderation: Jan Simane (Florenz)

Michail Chatzidakis (Chania): Ciriacos Numismata. Die Bedeutung der Münzkunde für die antiquarische Praxis Ciriacos d' Ancona

Federica Missere Fontana (Modena): Tra „aemulatio” e frode: storie di monete, storie di falsi

Adaptionen und Transformationen

Moderation: Ute Wartenberg Kagan (New York)

Johannes Helmrath (Berlin): Transformationen antiker Kaisermünzen in der Renaissance

Karsten Dahmen (Berlin): Wege der Auseinandersetzung mit der Antike. Beispiele aus dem Bestand der Sammlung von Renaissance-Medaillen des Berliner Münzkabinetts

Vera-Simone Schulz (Florenz): Vom Tyrannenmörder zum Souverän – Umdeutungen des Brutuskultes im 16. Jahrhundert

Bernhard Weisser (Berlin): Von Caesar bis Domitian: Nachahmung als kulturelles Schicksal

Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
1 <http://www.census.de/census/translatio-nummorum> (29.05.2012).
2 Das Programm des Symposiums kann im Internet eingesehen werden unter <http://www.census.de/census/translatio-nummorum/kolloquium-november-2011> (29.05.2012).


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